Was ist eigentlich Toleranz?
Toleranz ist eines der Worte, die in unserer postmodernen Gesellschaft Konjunktur haben. Man könnte Deutschland als multikulturelle Toleranz-Gesellschaft beschreiben. Dabei muss man feststellen, dass dieser Begriff aus subjektiver Sichtweise oft unterschiedlich gedeutet und gebraucht und schlimmstenfalls zu Manipulationszwecken missbraucht wird. Zunächst jedoch ist Toleranz etwas Gutes, wenn sie so verstanden wird, dass andere Meinungen respektiert und Konflikte gewaltfrei gelöst werden. Dies ist jedoch nur eine Facette von Toleranz, denn übersetzt heißt es „ertragen“ oder „zulassen“. Der Grundsinn entspricht keiner passiven, zurückhaltenden Einstellung, sondern einem aktiven Ertragen und Zulassen anderer Meinungen. Dies kann auch Meinungen umfassen, die nach subjektivem Empfinden inakzeptabel, abstoßend oder gefährlich sind.
Was Wissensfragen angeht (zum Beispiel, ob New York oder Washington die Hauptstadt der USA ist), kann es keine unterschiedlichen Überzeugungen geben. Bei Wissensfragen lässt sich eindeutig feststellen, was richtig und was falsch ist. Hier hat das Wort „Toleranz“ nichts zu suchen. Dagegen geht es bei Gewissensfragen um letzte persönliche Überzeugungen (zum Beispiel das „Ja“ oder „Nein“ zur Organspende oder zur Abtreibung). Dabei steht häufig Position gegen Position, und es sollte auch sachliches Argument gegen sachliches Argument stehen. Beide Seiten erleben es oft schmerzlich, dass sie in der Sachfrage unterschiedliche
Meinungen haben und sich dann auch als Personen nicht gegenseitig akzeptieren können.
Doch wenn diese gegenseitige Akzeptanz trotz unterschiedlicher Meinungen herrscht, dann ist das der Ur-Sinn von „tolerieren“: „Ich achte dich als Person; ich versuche auch, deine Überzeugung nachzuvollziehen, auch wenn ich sie keineswegs teilen bzw. übernehmen kann.“ Toleranz bezieht sich auf das „Du“ des anderen, auf seine Person. Dass ich aber mit diesem „Du“ in der Sachfrage uneins bin, will ich bewusst „tragen“. Solche Toleranz kann gewinnbringend sein, auch wenn sie anstrengend ist.
Dieses Spannungsfeld wird oft mit Intoleranz verwechselt oder vermischt. Wenn man andere Standpunkte nicht ertragen kann oder will, dann wird man zunehmend intoleranter. Doch wo sollte man die Grenze ziehen? Wann ist es empfehlenswert, tolerant zu sein, und wann nicht?
Ist Autofahren tolerabel, obwohl es die Luft verschmutzt? Sollte Rauchen verboten werden, weil auch Passivrauchen gefährlich ist? Sollte jemand Vergewaltigung ertragen? Sollte man Krieg ablehnen, auch wenn das eigene Land von Feinden erobert wird? Sollte man Religionen verbieten, weil sie absolute Aussagen verbreiten? Sollte man materialistisch-
deterministischen Atheismus verbieten, weil er Menschen zu Maschinen macht und Abtreibungen bewusst hinnimmt?
Bei diesen provokanten Fragen ist es mal leichter und mal schwerer, eindeutig mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten. Wo genau die Grenze liegt, muss also von Fall zu Fall betrachtet werden. Doch nach welchen Maßstäben kann man urteilen?
Was hat Toleranz mit Wahrheit zu tun?
Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der es viele Lebensentwürfe und Meinungen gibt. Es gilt, dass jeder selbstbestimmt entscheiden darf, was er für richtig hält. Daher werden absolute Wahrheitsansprüche in großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Das Paradoxon ist, dass Pluralismus oft nicht in die Freiheit führt, sondern in Unsicherheit. Welche Meinung ist denn nun wahr? An wem kann man sich orientieren, um sich seine eigene Wahrheit und Meinung zu bilden?
Es birgt eine große Gefahr, wenn Politik, Medien oder die Werbebranche sich diese Suche nach Wahrheit zunutze machen. Es werden solange bestimmte Ansichten wiederholt, bis sie vom Mainstream als Wahrheit akzeptiertwerden. Durch geschickte Rhetorik lassen sich somit
alle möglichen Lügen widerstandslos in den Köpfen der Menschen etablieren. Je stärker dabei betont wird, dass bestimmte Ansichten, Personen oder Gruppen als extrem und intolerant abzulehnen seien, desto leichter wird es, die Ansicht des anderen Extrems unkritisch zu übernehmen. Somit können relativ beliebige Ansichten als modern und zukunftsorientiert bezeichnet werden, und vermeintlich „wahren Worten“ müssen nicht zwingend gute Begründungen folgen.
Die Nachteile dieser Wahrheitsbildung und Meinungsvielfalt nehmen wir leider oft nur am Rande wahr. Bei Koalitionsverhandlungen wird oftmals nicht um die Wahrheit und das Wohl des Bürgers gerungen, sondern um die einzelnen Standpunkte von Parteien und Politikern. Schnell wird Deutschland nicht nur Exportweltmeister, sondern auch Weltmeister im Kompromisse-Machen. Es ergibt sich das Phänomen: Je mehr die verschiedenen Standpunkte verschwimmen, desto größer wird die innere Sehnsucht der Menschen nach der wirklichen Wahrheit. Doch wie soll ich mich entscheiden? Welche Wahrheit ist richtig?
Welche Wahrheit vertritt Jesus Christus?
Mit dem Anspruch „Ich bin die Wahrheit!“184 begegnet uns bei Jesus Christus etwas völlig Neues. Er unterscheidet sich damit grundlegend von allen bisherigen Wahrheitsmodellen.
Jesus behauptet ja nicht nur: „Ich sage die Wahrheit“ – wie ein Prophet; oder: „Ich entfalte die Wahrheit“ – wie ein Weisheitslehrer; oder: „Ich vertrete die Wahrheit“ – wie ein Märtyrer; oder: „Ich vermittle die Wahrheit“ – wie ein Guru. Jesus beansprucht für sich selbst: „Ich bin die Wahrheit in Person.“ Im christlichen Glauben geht es weder um ein Programm oder eine Lehre noch um ein neues Menschenbild.
Im Zentrum steht vielmehr die Person Jesus Christus. Dieser Jesus ist der Einzige, in dem Gott, der Schöpfer unseres Lebens und der Herr dieser Welt, zu uns kommt. Jesus war ein realer Mensch und lebte den Menschen vor, was es bedeutet, an Gott zu glauben und in Gemeinschaft mit ihm und seinem Vater zu leben. Mit Jesus ist auch das Wort Gottes in Person zu uns Menschen gekommen.185
Durch ihn haben wir einen objektiven Maßstab bekommen, der richtungsweisend für unsere Beurteilung sein sollte. Dieser Maßstab ist keine menschliche Erfindung, und trotzdem ist er realitätsnah. Anhand der Bibel hat jeder Mensch einen allgemeingültigen und universellen Maßstab, an der er seine subjektive Wahrnehmung messen kann.186 Je mehr man die Maßstäbe und Gebote der Bibel wirklich versteht, desto mehr wird man feststellen, dass sie z. B. die Grundlage der westlichen Zivilisation und Menschenwürde sind.187 Doch am Ende nützen auch die Maßstäbe der Bibel nichts, wenn
man nicht der Person Jesus begegnet und von ihm Leben empfängt.188
Ist Jesus Christus tolerant?
Wir kommen damit zu einer überraschenden These: Die Person Jesus ist Wahrheit und zugleich auch die eine wahre Toleranz! Gott „toleriert“ nämlich die Sünde, aber nicht so, dass er sie übersieht oder auf die leichte Schulter nimmt. Gott hat unsere Sünde gesehen und ertragen, aber sie nicht ignoriert, sondern sich höchstpersönlich darum gekümmert. Jesus Christus trug am Kreuz unsere Schuld.189 Bei Jesus sind Wahrheit und Toleranz zwei Seiten der einen Münze: In Jesus sind Wahrheit, Liebe und recht verstandene Toleranz zu einer Einheit verschmolzen.
Die Einladung von Jesus gilt allen Menschen, egal, ob du Frau oder Mann bist. Egal, welcher Nation du angehörst und egal, welche Hautfarbe du hast. Jeder, der an Jesus Christus glaubt, ihn mündlich als seinen Herrn bekennt und mit seinem Herzen glaubt, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, wird gerettet werden.190
Sind alle Religionen gleich?
„Es gibt doch nur einen Gott“, so hört man es immer wieder. Die Religionen seien nur verschiedene, aber gleichberechtigte Wege zum selben Ziel. Für das Abendland möge das Christentum richtig sein, für den Fernen Osten seien es dagegen der Hinduismus und Buddhismus, wird immer öfter behauptet. Die Religion müsse nur zur jeweiligen gesellschaftlichen oder persönlichen Kultur passen. In der Philosophie verwendet man gewöhnlich das Modell von Kern und Schale. Die „Schale“ der Religionen sei eben unterschiedlich. Das Kreuz von Jesus stehe für das Christentum, das Gesetz des Mose für das Judentum, der Koran für den Islam. Aber der „Kern“, das Entscheidende, sei bei allen Religionen gleich. Alle würden doch wahre Menschlichkeit und das Gute im Menschen fördern wollen. Was hier allein zählt, ist die „Moral“.
Das Problem bei diesen Vorstellungen ist, dass sowohl die eine Wahrheit bestritten als auch die Toleranz sinnlos wird. Weil es die eine Wahrheit nicht gibt, sondern nur eine Vielfalt an „Wahrheiten“, braucht man eigentlich keine Toleranz. Alle Religionen meinen ja letztlich dasselbe. Von daher erübrigt sich Toleranz. Wer „die eine Wahrheit“ beerdigen will, schaufelt damit auch der echten Toleranz das Grab! Während der lebendige Gott der Bibel jeden annimmt, so wie er ist, muss man sich bei allen anderen Religionen erst den Riten und Lehren anpassen, um Zugang zu den jeweiligen Gottheiten zu bekommen. Zum lebendigen Gott der Christen hat jeder freien Zugang, der an Jesus Christus als seinen Retter glaubt.191 Dafür muss man keine Vorleistungen erbringen.
Quellen
184 Johannes 14,6
185 Johannes 1,14
186 2. Korintherbrief 10,13
187 5. Mose 5,33
188 Johannes 5,39-40
189 Jesaja 53,12
190 Römerbrief 10,9; Apostelgeschichte 2,21
191 Hebräerbrief 4,16; Hebräerbrief 10,19